Beitrag von Norman Paech auf der Demonstration der Palästinensischen Gemeinde Hamburg, am 10. April 2024
Liebe Freunde aus Palästina, Hamburg und Deutschland!
- Was soll man nach sechs Monaten täglicher Berichte über Krieg und Gewalt dazu noch sagen?
Aber das, was uns täglich an gnadenlosen Massakern und brutalster Zerstörung in Gaza über die Bildschirme geliefert wird, übertrifft bei weitem das, was wir am 7. Oktober an Gewalt und schockierenden Grausamkeiten sehen mussten. Doch in Israel können die Menschen jetzt die Tage der Trauerarbeit widmen, der Aufarbeitung der schrecklichen Geschehnisse. Das Leben soll weitgehend in die Normalität zurückgekehrt sein. In Gaza hingegen hält der Terror an, jetzt schon seit genau sechs Monaten. Fast täglich berichtet die UNO mit denselben nüchternen Worten wie jetzt am Montag: „Israel bombardiert nach wie vor aus der Luft, auf dem Land und von der See den Gazastreifen. Die Folgen sind weitere zivile Opfer, Vertreibung und die Zerstörung von Häusern und anderer ziviler Infrastruktur.
Zwischen Sonnabendnachmittag und Montag, jetzt vor zwei Tagen, wurden 116 Palästinenser getötet, 183 verletzt. Zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 8. April 2024, wurden mindestens 32 207 Palästinenser in Gaza getötet und 75 933 verletzt – unter den Toten 14 500 Kinder und 9 500 Frauen, also weit über 2/3. Wer noch lebt, leidet Hunger. Nicht einmal das Nötigste kommt über die Grenzen, die Israel immer noch hermetisch geschlossen hält. Die mangelnde Versorgung hat sich zu einer Hungerkatastrophe ausgeweitet. Hunger wird von Israel als Kriegswaffe eingesetzt. Von den 36 Krankenhäusern sind 24 zerstört, den letzten Kliniken fehlen Medikamente und Personal. Die Armee scheut sich nicht einmal, das Shifa- Krankenhaus, das größte der noch verbliebenen Krankenhäuser anzugreifen und zu zerstören. Es gibt dort keine Patienten mehr nur noch Tote.
- Die Maßlosigkeit dieser Gewalt ist nur die Explosion einer Gewalt, die seit weit über 75 Jahren ein Volk mit Armee und Siedlern in einer gnadenlosen Besatzung gefangen hält. Sie begann nicht erst 2006, als Israel und seine Paten USA und Deutschland den Sieg der Hamas in demokratischen Wahlen nicht anerkannten und über Gaza eine totale Blockade verhängten. Seitdem ist Israels Armee immer wieder mit Bomben, Raketen und seinen Truppen in Gaza eingefallen, 2008/2009, 2012, 2014, 2021. Die Gewalt begann auch nicht erst 1967 mit dem legendären Sechs-Tage-Krieg, als Israel das Land besetzte, welches für einen palästinensischen Staat 1948 noch übriggelassen worden war: das Westjordanland, die Golanhöhen, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen. Die Gewalt hat das ganze Siedlungsprojekt der zionistischen Bewegung von ihren Anfängen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts geprägt. Wie jetzt in den zahlreichen Äußerungen von Mitgliedern der Regierung und Siedlern für alle Welt deutlich geworden ist, hat diese Bewegung nie ihren Schlachtruf „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ aufgegeben. Die ethnische Säuberung des eroberten Landes ist nie aus dem Programm der zionistischen Bewegung gestrichen worden. Und Gewalt war nicht nur die militärische Gewalt der Armee oder die brutale Gewalt der Siedler. Es war auch die Gewalt der Apartheid, der besonderen Gesetze und ihrer Justiz, der Demütigung und des Rassismus an den zahllosen Checkpoints, der Verachtung des Beherrschten durch den Herrscher. Ein solches System der Unterwerfung musste über die Jahrzehnte zu einer Explosion des Widerstandes und der Gegengewalt führen. Wer hier von dem Terror der Hamas spricht, sollte von dem Terror der Israelis nicht schweigen. Die Geschichte des Kolonialismus hat uns gezeigt, je gewalttätiger die koloniale Unterdrückung, desto gewalttätiger der koloniale Widerstand. Die Kämpfe der Befreiungsbewegungen vor allem in Afrika im zwanzigsten Jahrhundert sind gezeichnet vom Terror – auf beiden Seiten. - Jahrzehntelang konnte die Regierung in Jerusalem der Unterstützung und Rückendeckung durch die USA und Deutschland sicher sein, kein Gerichtshof in Den Haag konnte intervenieren und die UNO war machtlos. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Inzwischen ermitteln sowohl der Internationale Strafgerichtshof als auch der Internationale Gerichtshof in Den Haag wegen schwerer
Kriegsverbrechen und Völkermord gegen Israel
Der Generalsekretär der UNO Antonio Guterres verlangt seit langem einen Waffenstillstand, ebenso die Generalversammlung und nun auch der UNO-Sicherheitsrat. Eine Resolution des Sicherheitsrats ist verbindlich, aber Israel kümmert sich nicht darum, und wird von den USA und der Bundesregierung unterstützt. Israel beruft sich auf sein Verteidigungsrecht. Das hatte es ohne Zweifel gegen den Angriff der Palästinenser am 7. Oktober. Doch der Krieg, den die israelische Armee jetzt seit Monaten gegen die Bevölkerung im Gazastreifen führt, verdient nicht mehr den Namen Verteidigung. Das ist Vergeltung, Rache und ist nicht mehr vom Völkerrecht gedeckt. Das ist keine Verteidigung gegen die Hamas mit ein paar Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung, die hinzunehmen sind. Das ist ein Vernichtungsfeldzug, den die Klage der Südafrikanischen Republik zurecht Völkermord nennt und der Internationale Gerichtshof es zumindest für plausibel hält, wenn von einem Völkermord gesprochen wird.
- Und jetzt hat Nicaragua Klage gegen die Bundesrepublik wegen Unterstützung des Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor allem durch Waffenlieferungen im Gaza-Krieg. Damit kommen wir zu einem besonders peinlichen Beispiel der Doppelmoral, der deutschen Außenpolitik im Palästinakonflikt. Alle deutschen Bundesregierungen haben es nie an Unterstützung Israels fehlen lassen. Sie haben sich auch zur Zweistaatenlösung mit einem eigenen Staat für Palästina bekannt. Doch wenn es ernst wurde, haben sie immer gegen Palästina gestimmt – wenn es darum ging, Palästina in der UNO als Staat anzuerkennen, die Bundesregierung war dagegen, wenn es um die Strafanzeige Palästinas wegen des Krieges von 2014 ging, die Bundesregierung versuchte, Ramallah das Klagerecht zu verweigern. Die Bundesregierung bekennt sich jetzt endlich nach sechs Monaten zu einem Waffenstillstand, bestreitet aber gemeinsam mit Israel und den USA die Verbindlichkeit der Resolution des UNO-Sicherheitsrats vom 28. März, in der er den Waffenstillstand fordert.
Wer einem Waffenstillstand zustimmt und über die unerträglichen Opfer und Zerstörungen klagt, sollte zumindest auf die Lieferung immer neuer Waffen verzichten. Doch die Bundesregierung will weitere Waffenliegerungen genehmigen. „Deutsche Waffen machten in den letzten fünf Jahren 30 Prozent der israelischen Rüstungsimporte aus. Im vergangenen Jahr betrug der Anteil Deutschlands 47 Prozent, dicht hinter den USA mit 53 Prozent. Im Jahr 2023 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte an Israel im Wert von 326,5 Millionen Euro genehmigt – eine Verzehnfachung im Vergleich zum Vorjahr. Unter den Rüstungsexporten, zum Großteil nach dem 7. Oktober genehmigt wurden, befinden sich Kriegswaffen im Wert von 20 Millionen Euro, darunter 3000 tragbare Panzerabwehrwaffen, 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehre, Maschinenpistolen oder andere voll- oder halbautomatische Schusswaffen.“ Ich entnehme diese Daten dem jüngsten Antrag des „Bündnis Wagenknecht“ zum Stopp der Waffenlieferungen im Bundestag. Und ich frage: Werden die Regierungsfraktionen im Bundestag diesem Antrag zustimmen? Kann die Bundesregierung garantieren, dass diese Waffen nicht im Gaza- Streifen gegen das palästinensische Volk eingesetzt worden sind? Hat sie nicht Genug des Grauens, des Abschlachtens unschuldiger Menschen und der Zerstörung der Lebensgrundlagen von über zwei Millionen Menschen gesehen, dass sie immer noch Waffen liefern muss und den Krieg bis zum Sieg unterstützen muss? Wann kommt die Bundesregierung zu der Einsicht, dass ein Ende dieses Krieges, der Verzicht auf die geplante Offensive gegen Rafah und die Zerstörung dieser Stadt auch der israelischen Gesellschaft hilft, die Geiseln lebend zurück zu bekommen?
Was ist jetzt notwendig?
Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand!
Wir fordern den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen!
Wir fordern die Freilassung der Geiseln!
Wir fordern umfangreiche humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen!
Wir fordern das Ende der Besatzung!
Das sind Forderungen, die sofort erfüllt werden können.
Wikipedia: Norman Paech (* 12. April 1938 in Bremerhaven) ist Jurist und emeritierter deutscher Professor für Politikwissenschaft und für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg. Er ist seit 2005 Politiker der Partei Die Linke (zuvor PDS).
Paech wurde 1969 Mitglied der SPD und gehörte von 1972 bis 1973 dem Landesvorstand der Jusos in Hamburg an. 2001 trat er wegen des von der rot-grünen Mehrheit im Bundestag beschlossenen Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan jedoch aus der SPD aus.